Berliner Dialekt

 
  Der Berliner Dialekt, auch als „Berlinerisch“ oder „Berlinisch“ bezeichnet (auch Berlinismus bzw. Berolinismus, Verb: berlinern), ist die Mundart, die im Großraum Berlin-Brandenburg gesprochen wird. Dabei handelt es sich sprachwissenschaftlich nicht um einen Dialekt, sondern um einen (sehr selten anzutreffenden) Metrolekt, eine in großstädtischen Zentren aus einer Mischung vieler unterschiedlicher Mundarten entstehende Stadtsprache. Die Entwicklung des Berlinerischen hat auch die Sprache des umliegenden Brandenburgs beeinflusst und das regionale, ursprünglich in der Mark Brandenburg gesprochene Niederdeutsch verdrängt. Die stärkste Ausprägung hat diese „neue“ Sprache in den städtischen Bereichen Berlins erfahren; daher existieren in Berlin bis heute Wörter, Spitznamen usw., die ihren Weg noch nicht in das Umland gefunden haben. Zur Aussprache und üblichen Schreibweisen siehe Berlinische Grammatik.
Heinrich Zille: Konsum-Genossenschaft, 1924;
Bildtext: Frida – wenn Deine Mutter ooch in’s „Konsum“ koofte wärste schon lange een kräftiges Kind – sag’s ihr!

 
   

Geschichte

 
   
  Die (Millionen-)Stadt Berlin liegt im Bereich der Benrather Linie, stand also seit ihrer Gründung 1237 unter den Einflüssen des Niederdeutschen und des Mitteldeutschen. Mit der ab 1300 einsetzenden und sich ab etwa 1500 verstärkenden Zuwanderung aus den flämischen Gebieten des Heiligen Römischen Reichs, lassen sich zunehmend Veränderungen des in Berlin gesprochenen Ostniederdeutschen nachweisen bis hin zu seiner weitgehenden Aufgabe als Umgangsspache. So entstand ein eigener Metrolekt des Standardhochdeutschen mit klarer mitteldeutscher Basis, aber starkem niederdeutschen Substrat. Erst in jüngster Zeit griff dieser neue Dialekt auf das Umland über, das bis dahin ostniederdeutsch geblieben war. Das Berlinerische weist in einigen Eigenarten Parallelen zum Kölnischen („Kölsch“) auf, das ebenfalls starke Züge eines Metrolekts trägt und über Jahrhunderte durch Zuwanderung geprägt wurde (z. B. die charakteristische Anlautverweichung, beispielsweise jut, jehen, Auslautverhärtung wat?).
Bis ins 18. Jahrhundert hinein war die allgemeine Umgangssprache ein mark-brandenburgischer Dialekt, der im späten 18. Jahrhundert durch eine mitteldeutsche Ausgleichsmundart auf obersächsischer Basis verdrängt wurde. Sie ähnelt Entwicklungen in anderen niederdeutschen Regionen, die Missingsch-Dialekte zuerst als Mischsprache mit der Kanzleisprache entwickelten und sich im Gebrauch als Umgangssprache wandelten. Die neu entstandene Ausgleichsmundart, die dem heutigen Berlinischen sehr ähnlich war, übernahm aus den angrenzenden niederdeutsch sprechenden Gebieten einzelne Wörter (ick, det, wat, doof).
Während Berlin seit 1871 einem immer stärkeren Zuzug vor allem aus Sachsen und Schlesien ausgesetzt war, die die niederdeutschen Sprachelemente zurückdrängten, kam es nach 1945, und nochmals nach 1961 zu großen Abwanderungswellen nach Westdeutschland. Da Berlin in der jetzigen Form erst 1920 entstand, gilt als Kerngebiet des Berlinischen die Fläche der heutigen Bezirke Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg. Dazu kommen die Gebiete von Charlottenburg und Prenzlauer Berg innerhalb der Ringbahn der S-Bahn. Hier befanden sich jene Stadtteile, die besonders den genannten Einflüssen ausgesetzt waren. Die äußeren Ortsteile waren über Jahrhunderte Teil von Brandenburg, ohne intensiven Kontakt zum Berlinischen.
So nimmt man heute an, dass in Berlin als wichtiger Handels- und Verwaltungsmetropole schon früh ein erhöhter Druck zur Verwendung des Hochdeutschen bestand, das als Superstrat auch auf die Umgangssprache der Bediensteten, Arbeiter und Mägde übergriff. Durch die immer größer werdende Bedeutung Berlins als preußische Metropole strahlte die Berlinische Stadtmundart auch bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts in das Berliner Umland aus, wobei sie zunächst als Verkehrssprache neben den angestammten Dialekten bestand, diese aber schließlich ganz verdrängte. Dieser Dialektwechsel dauert bis heute an, und der Druck zum Hochdeutschen hat sich in der jüngeren Vergangenheit durch den wiedererlangten Status Berlins als gesamtdeutsche Hauptstadt wieder erhöht. Auch hat die Zuwandererwelle (Ende der 1990er-Jahre) von Bonner Rheinländern den Berliner Dialekt bisher nicht angenommen, der Dialekt der zugewanderten Schwaben (Mitte der 1990er-Jahre) ist ebenfalls noch häufig zu hören, und die zugewanderten Russlanddeutschen (Anfang der 1990er-Jahre) haben einen eigenen Dialekt entwickelt, der erst langsam ins Berlinische übergeht.
Zwischen 1949 und 1989 verließen eine Million Berliner die Stadt. Gleichzeitig kam es in Ost- wie West-Berlin zu bedeutenden Zuzügen aus dem süd-, ost- und westdeutschen Raum (Sachsen, Baden-Württemberg, NRW). Dazu kam die Aufnahme von Einwanderern aus der Türkei, Jugoslawien, Italien und dem Libanon. Dies führte zu einer starken Verdrängung des Berlinerns aus dem Alltag. Viele Neuberliner nahmen zwar Teile des Dialekts an, die Verwendung des Dialekts wurde – ebenso wie bei Dialekten in anderen Regionen Deutschlands – zunehmend als „unfein“, „proletarisch“ oder „ungebildet“ betrachtet. Dadurch finden sich die Zentren des Dialekts vor allem in den alten innerstädtischen Gebieten und Teilen von Ost-Berlin, wo relativ wenig Zuwanderer ansässig wurden.
Unverändert wird die Sprache in Berlin von Zuwandererwellen geprägt und bleibt dementsprechend unbeständig. Im Schnitt hat nur ein Viertel der Berliner auch Eltern, die schon in Berlin geboren wurden („waschechte Berliner“), und konnte somit den einheimischen Dialekt bereits im Kindesalter erlernen. Durch die Verbreitung im Funk und Fernsehen wurde der Berliner Dialekt dennoch in allen Teilen Deutschlands seit Mitte des 20. Jahrhunderts bekannt. Dabei fand er häufig Gefallen von Nicht-Berlinern, die bestimmte – an West-Berlin orientierte – Grundregeln als „Standard der Berliner Mundart“ verbreiteten. Dadurch wurden allerdings die historischen Varianten verwischt, sodass heute fälschlich kolportiert wird, der Berliner Dialekt würde in den lautlich eng verwandten Sprachgebieten des nördlichen Brandenburg und Sachsen-Anhalt ebenso gesprochen wie in Berlin („berlinern“). Ungeachtet dessen bestehen verwandtschaftliche Beziehungen, das Neu-Altmärkische im Norden Sachsen-Anhalts ist nämlich eine Variante des Berlinisch-Brandenburgischen.
Gleichzeitig weitet sich, vor allem seit dem Mauerfall, der Einfluss des Berlinischen auf das Umland, das bis dahin ostniederdeutsch geblieben war, aus. Die Berlin-Brandenburgischen Dialekte haben sich so klar aus dem ostniederdeutschen Mark-Brandenburgisch entwickelt, werden heute jedoch oft dem ostmitteldeutschen zugeordnet, dem sie durch die Überformung näher stehen. Während der Datenerhebung für den Deutschen Sprachatlas (1880er-Jahre) wurden in zahlreichen Orten, die heute zum Stadtgebiet Berlins gehören, niederdeutsche Mundarten oder niederdeutsch-berlinische Mischmundarten gesprochen.
Berlin hat Anteil an vielen im gesamten ostmitteldeutschen Sprachraum verbreiteten sprachlichen Eigenheiten. Da vor der Maueröffnung West-Berlin als einziges Gebiet dieses Territoriums für Westdeutsche direkt zugänglich war, halten viele von ihnen diese Eigenheiten – eigentlich zu Unrecht – für „typisch berlinisch“. Als Beispiel kann die oft missverstandene Uhrzeitangabe „dreiviertel Fünf“ für 16:45 Uhr bzw. „viertel Fünf“ für 16:15 Uhr dienen, die tatsächlich in weiten Teilen Ost- und Süddeutschlands und Österreichs in Gebrauch ist.

„Mode is et heute, det die meisten Leute schimpfen uff det „Babale an der Spree“. Dieset Wujekeife, det ich nich bejreife, duht mir in de tiefste Seele weh. Hat ooch seine Reize - wat ick ohne Neid seh - München, Frangfurt, „Dräsen“ und Polzin: det war wirklich klassig, wat patent un rassig, Mensch! det jiebt et doch bloß in Berlin!“

– Walter Mehring, um 1900

 
   
 

Einflüsse

 
   
  Lange Zeit wurde das Berlinische (oder Berlinerisch, wie der Berliner sagt) als Verballhornung des Hochdeutschen betrachtet. Diese Sicht ergab sich gerade durch den allgegenwärtigen Sprachwitz der Berliner, der gern mit Verschiebungen aufgeschnappter Begriffe arbeitet. Als Hauptstadt von Brandenburg, Preußen, Deutschland und der DDR und nun als Bundeshauptstadt war Berlin immer Zentrum von Handel, Verkehr, Emigration und Zuwanderung. Für die Sprache waren verschiedene Einflüsse wichtig.
  • Flämisch wirkte durch die im 15. und 16. Jahrhundert eingesiedelten Flamen, die die Bevölkerungszahln erhöhen sollten (Bevölkerungspolitik).
  • Das Französische wirkte durch die Hugenotten, die Napoleonische Besetzung und er preußische Königshof nutzte es und im Streben Versailles zu kopieren als Umgangssprache, hierzu trug Voltaire bei.
  • Der hebräische Einfluss durch Juden als Flüchtlinge im 16. und 17. Jahrhundert, besonders aber das Jiddische durch Zuzug von osteuropäischen Juden im 19. und 20. Jahrhundert.
  • Das ortsstämmige Polabische der Umgebung, aber auch durch das Wendische im Berliner Einzugsgebiet waren die anfänglichen Einflüsse der Slawen. Im weiteren beeinflusst das Polnische aus Schlesien und das Tschechische aus den Sudenten durch Ansiedlung seit dem 15. Jahrhundert. Die Ansiedlung von Zuzüglern, später den Spätaussiedlern bringt Einflüsse aus dem Russischen im 19. und 20. Jahrhundert hinzu.

Viele der typischen Berliner Ausdrücke lassen so den Rückschluss auf ihren Ursprung zu. So soll die Redensart Det zieht wie Hechtsuppe auf das jüdische „hech supha (Sturmwind)“ zurückgreifen. Mir is janz blümerant soll von französisch „bleu mourant (blassblau; ‚sterbend blau‘)“ stammen.
Als berlinisch wird oft auch der Ausspruch „mach keene Fisimatenten“ genannt, das die Berliner aus „visite ma tente“ (frz.: besuch mein Zelt) entwickelt haben sollen. Der Legende nach riefen dies französische Soldaten während der Zeit der französischen Besetzung der Stadt unter Napoléon den jungen Berliner Mädchen hinterher. Bei den Müttern der Mädchen führte das zu der ernsten Ermahnung, keine „Fisimatenten“ zu machen. Andere Erklärungen reichen auf ältere Ursprünge zurück.
Die berühmte Berliner Bulette kommt vom französischen boule, dem Fleischbällchen. Der Einfluss der Hugenotten oder der französischen Besatzer führte sogar soweit, dass ursprünglich deutschsprachige Begriffe französisiert wurden: Trottoir für den Bürgersteig und Pissoir für das Café Achteck, die öffentliche Bedürfnisanstalt. Der früher eher übliche Suffix '-que' etwa bei „auchque“ ist ebenfalls französisierend.
Berlinisch hat durch den Zuzug vieler Bevölkerungsgruppen eine Reihe von Worten und Redewendungen aufgenommen, die sowohl Dialekten und Umgangssprachen Zugewanderter entstammen und nicht im Deutschen Sprachraum geläufig sind. Durch die starke sprachliche Verschleifung ist die Herkunft oft kaum zu erkennen. Eine Reihe von Wörtern entstammen auch dem Rotwelschen.

 
   
 

Mundart

 
   
  Durch die allgemein weitgehende Verwendung von Begriffen des Hochdeutschen gab es bis heute keine Notwendigkeit für einen schriftlichen Gebrauch und das Berlinern bleibt eine Mundart. Das mag darauf zurückzuführen sein, dass Berlinern innerhalb der Region lange Zeit als Dialekt der einfachen Leute verpönt war. Die Bildungsschicht bemühte sich stets distanzierend um einwandfreies Hochdeutsch. Der Wortschatz des Berlinischen ist im Brandenburg-Berlinischen Wörterbuch erfasst und beschrieben.
Bei der schriftlichen Fixierung des Berlinischen herrscht Unsicherheit, da jeder Sprecher die Lautung verschieden stark einsetzt, je nach Gelegenheit stärkere hochdeutsche oder stärker berlinernde Lautung. Einen Konsens zur schriftlichen Fixierung gibt es nicht. In Büchern wählt jeder Verleger eine eigene Variante. Die überwiegende Zahl der Publikationen mit eingebetteten berlinischen Texten verwendet eine hochdeutsche Rechtschreibung, bei der Buchstaben, Buchstabengruppen oder ganze Worte ersetzt werden, so wie sie in der Mundart stark von der üblichen Aussprache des Hochdeutschen abweichen. Dies ermöglicht gewöhnlich jedem Deutschsprechenden, nach kurzer Eingewöhnung auf die üblichen Ersetzungen die Berlinischen Texte zu verstehen. Erschwert allerdings die Suche nach Belegen.
 
   
 

Heute

 
   
  Das Berlinerische ist das zentrale Idiom eines Dialektgebiets, das sich heute über Berlin, Brandenburg und Teile Mecklenburg-Vorpommerns, Sachsen-Anhalts sowie Sachsens erstreckt. Man spricht in diesem Zusammenhang meist von Berlin-Brandenburgischen Dialekten. Sie zeichnen sich durch eine fast hochdeutsche Aussprache aus mit einigen Synkopen und Apokopen, die aber in den meisten deutschen Mundarten gleich sind. Besonders zu erwähnen dabei ist das „wah?“, das soviel bedeutet wie „nicht wahr?“. Das Typische an der Aussprache ist das stimmlose r. Dadurch wird das -er am Wortende häufig zu einem -a, z. B.: „Wassa“ statt „Wasser“. Am Wortanfang wird das r aber nie hart gesprochen. In der Wortmitte kann man es bei vielen Wörtern kaum hören, z. B.: „A'beit“, statt „Arbeit“. Dies ist jedoch im Ostfälischen ebenfalls der Fall. Bis auf den Südosten (Neu- und Niederlausitzer Mundart) des Verbreitungsgebietes wird überall meist das g zu j, z. B.: „jut“ statt „gut“.  
   
 

Sprachelemente/Grammatik

 
   
  Die Grammatik und dazugehörende Syntax weichen zum Teil deutlich von der Hochsprache ab, im Brandenburgischen oft stärker als im Berlinischen. Adverben und Adjektive können problemlos wechselweise gebraucht werden. Für geschlossene Tür: „ne zue Tür“ oder „komm oben“ was „komm herauf“ bedeutet. Die Konjunktionen erscheinen in alter Form, also „als wie“ statt „wie“, „denn“ statt „dann“ und „wenn“ statt „wann“, „wie“ = „als“, „worum“ statt „warum“. Der Akkusativ und Dativ werden kaum unterschieden. Im Akkudativ nutzt der Berliner sowohl für „mir“ als auch für „mich“ den Universalausdruck „ma“. „Der Baliner sacht imma mir, auch wenn et richtich is“ (Volksmund).Allerdings findet sich schon 50 Kilometer südlich der „Michel“, jene Südbrandenburger die prizipiell den Akkusativ benutzen: „Bring mich mal die Seitung“.
Sehr typisch ist die „Erzählende Vergangenheit im Futur: „Wehr ick doch heute morjen uff'm Weech ßum Beckah den Schulze treffen. Wird mir doch diese olle Nappsülze […]“ (statt „Werde ich“ steht „Wird er mir“).
Auch Genitiv-Formen werden besonders im Brandenburgischen durch präpositionale Akkusativ-Formen ersetzt, zum Teil noch mit eingefügtem Pronomen: dem sein Haus. Die Pluralformen gehen oft auf zusätzliches -s: „Giv mir ma die Schrippens“. „Mensch Vaddern, kick mal, so ville Kahns uff de Spree!“ – „Dummet Jöhr, dit sin keene Kahns sondern Keene!“ (Gespräch zwischen einem Vater und seinem kleinen Sohn auf der Brücke).

Verkleinerungsformen enden auf -ken oder -sken.

Dazu gibt es den Pluralis berolinensis, die Mehrzahlbildung auf -er, wie im Skandinavischen: Klötzer, Stöcker. Pannemann: „Kellner!“ – Kellner: „Befehlen?“ – Pannemann: „Wo sind meine vier Beffastücker?“ (im Delikatessen-Keller)
Das Niederdeutsche zeigt sich offenbar, da die einfache Regel eiee nicht allgemein zutrifft, sondern ei bleibt bei altem i erhalten. Also keen für kein ist richtig, aber meine, deine, seine, obwohl im Niederdeutschen: min, din, sin. Bei anderen Gelegenheiten wird eine niederdeutsche Grundlage gesehen; die oft gerügte mangelnde Unterscheidung von Akkusativ und Dativ folgt der Nichtexistenz dieser Fälle im neueren Niederdeutschen, wo es nur einen Objektiv als dritten und letzten Kasus gibt. Dieser Fall ist aus dem Skandinavischen eingesickert. Der von Nichtberlinern gern erwähnte Satz „Icke, dette, kieke ma, Oogn, Fleesch und Beene“ wird nur von Nichtberlinern als witzig empfunden. Geborene Berliner benutzen „solches“ nie.
Die lokale Lautung hat ebenfalls viele Besonderheiten. Zugezogene bemerken zuerst den Ersatz von g durch j. Die meisten Diphthonge werden zu langem Monophthong: au zu oo, ei zu ee. Daran kann man Altberliner und Neuberliner unterscheiden. Das g wird eigentlich in einen velaren Frikativ-Laut γ verschleift, das insbesondere nach dunklen Vokalen eher wie hochsprachliches r klingt, jedoch nach den hellen Vokalen und Halbvokalen i, e, l, r wird der Laut als stimmhaftes j gesprochen. (Garage zu Jarche) Durch den γ-Laut lassen sich hochsprachliches „Augen“ und „Ohren“ nur schwer auseinander halten: „Augen“ klingen in berlinischer Lautung wie „Oogn“, das hochsprachliche „Ohren“ klingt wie „Oan“, wird also weniger kehlig und stärker behaucht gesprochen. Ohne Gewöhnung kann man diesen hörbaren Unterschied nur schwer bemerken.
Als mitteldeutscher Dialekt an der Grenze zum Niederdeutschen hat das Berlinische die Zweite Lautverschiebung in vielen Fällen nicht durchgeführt, sondern behält die niederdeutschen Formen. Beispiele sind die Wörter „det“ für „das“, „dit“ für „dies“, „wat“ für „was“ oder „Appel“ für „Apfel“.

 
   
 

Das Berliner Er/Wir

 
   
  Das sogenannte „Berliner Er“ ist eine in Berlin manchmal noch anzutreffende Form der Anrede, die früher im deutschsprachigen Raum allgemein als eine mögliche Anredeform gegenüber Untergebenen und rangniederen Personen benutzt wurde. Hierbei wird die dritte Person Singular genutzt, um den Abstand auszudrücken, der Angesprochene wird so als „nichtanwesend“ diffamiert.
So kann es vorkommen, dass man in Berlin gefragt wird: „Hatter denn ooch'n jült'jen Faahohsweis?“ oder „Hattse denn die fünf Euro nich'n bisken kleena?“. „Hatter“ = „Hat er“ und „Hattse“ = „Hat sie“.
Ebenso häufig ist die Redewendung in der ersten Person Plural geläufig: „Na, hamwa nu det richt'je Jesöff jewählt?“ oder „Da warn wa wohl'n bisken fix, wa?“.
 
   
 

Redewendungen

 
   
  Das Berlinische kennt viele Redewendungen, die teils auch außerhalb Berlins bekannt geworden sind, wie etwa das „JWD“ = „janz weit draußen“. „Na man du hast heut aba wieda ’ne Kodderschnauze“, ist sowohl negativ wie positiv gemeint. Kodderig steht für „übel“ sein (vom Befinden), und gleichzeitig für „frech, unverschämt“. „Ne koddrige Schnauze“ ist ein „loses Mundwerk“, das zu allem und jedem „sein’ Senf beijehm muss“ („seine [überflüssigen] Kommentare dazugeben muss“). Eine Randbemerkung ist so nicht ursächlich beleidigend gemeint, auch wenn sie in anderen Kreisen nur gesagt würde, wenn sie beleidigen soll. Über solche Sätze gehen die Berliner schlicht hinweg und geben einfach einen ähnlichen Satz zurück. Die so entstehenden „Gespräche“ sind noch heute in den Berliner Straßen zu hören, wenn auch bisweilen in hochsprachlicher Lautung. Die sprachlichen und kulturellen Besonderheiten werden miteinander in Verbindung gesehen: Wer berlinert, dem traut man auch ein paar lose Sprüche zu.  
   
 

Spitznamen

 
   
  Der Berliner Volksmund ist berühmt dafür, allgegenwärtig mit Spitznamen durchsetzt und vergleichsweise ruppig zu sein. Wie bei allen Spitznamen (im 17. Jahrhundert spitz = verletzend) handelt es sich meist um Spottnamen, die einen kurzen Ersatznamen für den realen Namen geben, der sich aus den Charakteristika der Sache oder der Person ergibt.
Tatsächlich übertreiben vor allem Touristenführer und Reiseliteratur zur Herstellung eines Berliner Lokalkolorits gerne die tatsächlichen Verhältnisse. Im täglichen Leben werden der Fernsehturm (angeblich „Telespargel“) und der Funkturm (angeblich „Langer Lulatsch“) mit ihren korrekten Namen bezeichnet. Die alternativen Namen werden eher ironisch gebraucht oder wenn man Touristen ein wenig verwirren möchte.
Nur in wenigen Fällen ist der Spitzname gebräuchlicher, etwa bei „Bierpinsel“ und „East Side Gallery“ (mittlerweile offiziell), „Café Achteck“, „Goldelse“ für die Siegessäule, „Puderdose und Lippenstift“ (für den Neubau der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche), „Schwangere Auster“ und „Tränenpalast“ (historisch begründet).
 
   
 

Aussprachebeispiele

 
   
  Einige Wörter bzw. Aussprachen lassen sich kaum über Ausspracheregeln aus dem Hochdeutschen ableiten.

Zum Vergleich: Einige berlinische Wörter bzw. phonetische Merkmale, die aber auch in anderen Dialekten auftauchen, finden sich auch im Hochdeutschen wieder.

  • wohlmöglichwohłmöglichwomöglich
  • eene meene Muh [ˈeːnə ˈmeːnə ˈmuː]
  • wenn schon, denn schon
  • für ’n App’l und ’n Ei (für sehr wenig Geld)
  • janz Berlin is eene Wolke... und nur icke, ick bin zu sehn
 
   
 

Wortbeispiele

 
   
  Die Allerschürfste
Du denkst, Du bist die Allerschürfste für mich,
biste aber nich. Ick fin dir widerlich.
Du denkst, Dich findet wirklich jeder hier geil,
is aber nich so, janz im Jejenteil.
Du kommst hier reien als jehört Dir die Welt,
als wär jeder Tisch nur für Dir bestellt.
Du glotzt ma an, hau ab Du machst mir noch krank.
Du willst all'n jefallen. Du hast nicht mehr alle Tassen im Schrank.
Du nervst, Du nervst.
Ick würd Dir so jern eine hauen.
Du bist völlich behämmert.
Du hast nicht mehr alle Latten am Zauen.
Is doch wahr…
Du denkst, Du bist die Allerschürfste für mich,
biste aber nich. Ick fin dir widerlich.
Du denkst Du bist wirklich unwiderstehlich,
biste aber ebend jerade nich

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„Jetzt lachen immer alle, und reißen ständig Witze.
Wir sind nur noch am Baden gehen – wejen die Hitze.“

– Die Ärzte: Hurra, Album Planet Punk, 1995

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Berliner Klopsgeschichte
Ick sitz hier und esse Klops
uff eenmal klopp's.
Ick staune, kieke, wundre mir,
uff eenmal jeht se uff, die Tier!
Nanu, denk' ick, ick denk': Nanu,
jetzt jeht se uff, erst war se zu!
Und ick jeh' raus und kieke,
und wer steht draußen? … Icke.

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Volksmund
Ach is dett jemütlich uff de Pferdebahn,
dett eene Pferd ditt zieht nich,
dett andre dett is lahm,
Der Kutscher kann nich kiek'n,
der Konduktör nich seh'n
und alle zehn Minuten, da bleibt die Karre steh'n.

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„Abraham“, sprach Bebraham, „kann ick mal dein Zebra ha'm?“

– Kalauer

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Mariechen zu Mariechen: „Lass ma ma' riechen.“
Da ließ Mariechen Mariechen ma' riechen.
– KALAUER

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Singt eener uffn Hof
Ick hab ma so mit dir jeschunden,
Ick hab ma so mit dir jeplacht.
Ick ha in sießen Liebesstunden
zu dir „Mein Pummelchen“ jesacht.
Du wahst in meines Lehms Auf un Ab
die Rasenbank am Elternjrab.

Mein Auhre sah den Hümmel offen,
ick nahm dir sachte uffn Schoß.

An nächsten Tach wahst du besoffen:
un jingst mit fremde Kerle los.
Un bist retuhr jekomm, bleich un schlapp –
von wejen: Rasenbank am Elternjrab!

Du wahst mein schönstet Jlück auf Erden,
nur du – von hinten und von vorn.
Mit uns zwee hätt et können werden,
et is man leider nischt jeworn.
Der Blumentopp vor deinen Fensta
der duftet in dein Zimmer rein…
Leb wohl, mein liebes Kind, und wennsta:
mal dreckich jeht, denn denke mein –!

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Würklichkeitsjetreue Schilderung eena Lügenjeschichte
N umherjewürbelta Schefdirijent,
n olla abjeschmürjelta Fallschürmjägerjeneral
(imma mit Rejenschürm),
n jeistesfawürrta Jefängnisdirektor
und n Ziejenhürt mit na Hürnjeschwulst
kloppen sich ürjentwo
im brandenburgberlinerischn Waldjebürge
innem herunterjewürtschaftetn Demontaschefürmenjebäude
nebm na Kürche
mit viel Jeschürr und Jeklürr
um n famöjenswürksames Hürschjeweih.

Det für mausetot jehaltne Hürschjetier
is jedoch noch janz lebendich und am Lehm,
aba wejen m fapeiltn Jeschehn völlich ürrejeführt;
schnubbat daher nich nur aus Falejenheit
anna jut beleechtn Käsestulle rum
– ürjentwann vom fürznjährijen Fliesenleejajeselln
aus Jeschmacksfaürrung liejenjelassn –
und würft sich ditte am Ende
mit jeschlossnen Oogen
jeschmeidich hinta de Kiem'.

Wat? Een Hürsch und Kiem'?
Nich würklich – is ja ooch ne Lügenjeschichte,
aba würklichkeitsjetreu jeschildat;
uff jedn.

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„Ick muss sagen, siehst richtich schnieke aus, Keule.
Dit wa' ne echt dufte Entscheidung, Männeken.“

– Aus einer „Deutschlern-Kassette“

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„Awa det Scheenste am Abend, det war janz hinten, in eener Losche, da saß son janz stilla, janz bescheidena oller Mann in jrauen Haaren, mit'n jrauen Anzuch, der kieckte sich, janz in die Ecke jedrückt, den Zimt an. Det war der Meester Zille selba, janz valejen, det die son Radau um ihn machen.“

– Berliner Tageblatt

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Altberliner Kinderreim
Wenn ick am Fensta steh'
und schlach 'ne Scheibe entzwee'
dann setzet Keile,
'ne janze Weile.
Un wenn ick's nochmal tu'
Krieje ick no' mehr dazu.
Da mach ick mir nüscht draus
Und schlach noch eene aus.

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Budiker Friebel 1780, Molkenmarkt 11
Meine Wurscht is jut,
wo keen Fleisch is, da is Blut,
wo keen Blut is, da sind Schrippen,
an meine Wurscht ist nicht zu tippen.

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Kinderreim
Ick stehe uff'a Brücke
Und spucke in'n Kahn,
Da freut sich de Spucke
Dit se Kahn fahren kann.
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Berliner Reim
«Mir» und «mich» verwechs’lik nich,
dit kommt bei mich nich vor,
meen Köta looft nich mit mit mich,
und rennt mich weg durchs Tor.

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„Watt weenst’n.“ – „Mein Vadda hat mir jehaun.“ – „Aber Paule! Mein Vater hat mich gehauen!“ - „Wadd’n? Dir ooch?“

– Karl Krause

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„Und was ist ihr Beruf, Fräulein?“ – „Ick arbeete uff Strom!“ – „Dann hat ihr Vater einen Kahn?“ – „Ach nee, uf die A.E.G.“

– Berufszählung

 
   
 

Sprechbeispiele

 
   
 

Einige Synkopen:

  • jeh'n – statt: gehen
  • Der Hamma' liecht uff'm Tüsch – Der Hammer liegt auf dem Tisch
  • Jips jibs inna Jipsstraße. Jibs da keen Jips, jibs jar keen Jips – Gips gibt es in der Gipsstraße. Gibt es da keinen Gips, gibt es gar keinen Gips
  • Ne jut jebratne Janz is ne jute Jabe Jottes - Eine gut gebratene Gans ist eine gute Gabe Gottes
  • P(an)ks inna Pankstraße – Punks in der Pankstraße
  • Dit jibs ja janich – Das gibt es ja gar nicht
  • Wadde ma – Warte mal
  • Verwandtschaft
      • Keule – kleiner Bruder
    • Atze – großer Bruder
    • Schwelle – Schwester
    • Ellis – Eltern