Zenner und Regelin

 
 

1880 nahm der Gastwirt Rudolf Zenner (31.12.1844 — 28.02.1901) das Treptower Magistratsgasthaus in Pacht. Sein noch heute klangvoller Name ist auch untrennbar mit der weiteren Geschichte des Hauses verbunden. Aber schon zu Lebzeiten setzte der Gastwirt Maßstäbe. Unter seiner vornehmen und umsichtigen Leitung erlangte das bis dato ohnehin hochgeschätzte Traditionslokal noch einmal einen beachtlichen Renommeezuwachs, der sich in breiterem Zuspruch und größerem Ansehen in der Öffentlichkeit ausdrückte. Davon profitierte auch die junge Landgemeinde (seit 1876) außerordentlich. Mit dem städtischen Gasthaus unter Zenner verband sich für den Gast ein gemütlicher Aufenthalt, das Speisenangebot wurde vor allem durch saisonale Gerichte der Berliner
Küche bestimmt. Die Bediensteten, ehrwürdige Kellner, 1883 mit langen dunklen Bärten, sowie die Köche mit dicken schwarzen Backenbärten, bemühten sich redlich, den Wünschen der Besucher nachzukommen. Zehn Jahre später waren es noch die gleichen treuen Angestellten, die nun den Gesichtsschmuck kurz trugen und dadurch jünger aussahen. Die Veranstaltungen fanden zumeist ohne Zwischenfälle statt, der „Pöbel“ musste draußen bleiben, man kannte seine „Pappenheimer“. Trotz gepfefferter Preise wurde tüchtig konsumiert. In dieser Zeit entstand der Spruch: „Lieber bei Zenner versumpfen als im Karpfenteich vermodern“.

 
     
 

Späteren Geschäftsführern galt Zenner als besonderes Vorbild. Das Wissen um Persönlichkeit, Erfolg und Ruf ihres populären Vorgängers und seines von ihm geleiteten Unternehmens wurde von einer Generation zur anderen weitergereicht. Der Name verpflichtete, man versuchte, daran anzuknüpfen. Die Jahre seines Wirkens in Treptow hatten Spuren hinterlassen und gelten als hohe Zeit der Treptower und Berliner Ausflugsgastronomie. Bis heute gehören Treptow und das Andenken an den berühmten Gastwirt zusammen. Leider vermochten spätere Etablissement—Betreiber - trotz großer Anstrengungen - kaum nennenswerte eigenständige Maßstäbe oder weiterführende originelle Akzente zu setzen. Wegen seines erfolgreichen geschäftlichen und kommunalen Wirkens erklärte sich der Magistrat im Januar 1886 bereit, dem Gastwirt einen weiteren Drei-Jahrespachtzeitraum einzuräumen. Danach verlängerte sich die Pacht noch zwei Mal. Immerhin betrug in diesen Jahren der jährlich zu zahlende Pachtzins bereits 13.500 Mark. Das Gartenlokal blieb lange überwiegend Treffpunkt der so genannten feineren Berliner Gesellschaft, bei der sich die Hautevolee der Stadt gut aufgehoben fühlte. Man konnte Offiziere jeden Ranges, Kammerräte, Ärzte, Juristen, Schriftsteller und „feine Damen von Welt“ antreffen, die über die Terrassen promenierten und posierten oder Tagungen abhielten und ausgiebig dinierten. Auch der Ortsverein Treptow, dessen 2. Vorsitzender Zenner war, tagte hier regelmäßig. Bei den Stiftungsfesten in den Gasthaussälen wurden feierliche Ansprachen gehalten, Toaste ausgesprochen und Festessen eingenommen.

 
     
 

Musikalische Darbietungen wie Platzkonzerte und Auftritte von Gesangsvereinen begeisterten das Publikum. Die Sommernachtsbälle endeten mitunter um fünf Uhr in der Frühe. Gern gesehene Veranstalter an den Nachmittagen waren der Musikdirektor und Kapellmeister Martin Lehmann (Träger des Allgemeinen Ehrenzeichens), der als Freund des Gastwirts mit seinem Orchester auftrat, sowie die Treptower Liedertafel mit ihrem Dirigenten Georg Brabant. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich in der wärmeren Jahreszeit die Auftritte der Blaskapelle des Garde-Schützen- Bataillons unter Kapellmeister Röthmann. Immer wieder mussten der „Kaiser-Friedrich—Marsch“, der „Düppelner-Schanzen-Marsch“, der Marsch „Der Liederkranz“ und der „Marsch der Landsknechte“ von 1462 intoniert werden. Jeden Donnerstag trat die verstärkte Kapelle des Garde-Pionier-Bataillons unter Leitung ihres Musikdirektors C. Dietzmann auf und veranlasste die Gäste zu Ovationen. Spielte das Wetter mit, wurden die Veranstaltungen auf dem Festplatz ausgetragen. Und selbstverständlich wurden auch unter Zenner die beliebten Feuerwerksveransta1tungen gepflegt. In den achtziger Jahren engagierte er dafür die seinerzeit bekannten Pyrotechniker Leichnitz und Bau. Sie schufen Bilder der „Sterbenden Bienen“ und „Diamantengarben“, Wunder der Pyrotechnik, wie es hieß. Zenner als Vergnügungsstätte bot den Berlinern eine um_ fangreiche Bühne zum Feiern und „Schwofen“ mit beinahe täglich wechselnden Belustigungsprogrammen. Nur gelegentlich stellten sich kleinere Musikpavillon im Restaurantgarten Regelin um 1900 VersorgungsSchwierigkeiten ein, wie im Juli 1889. Da wurde das Gelände mehrmals von Dieben aufgesucht, die nachts den Verschluss vom Fischkasten aufbrachen und diesen gründlich ausräumten. Hinter dem Frevel vermutete man Fischer aus Stralau. Wenngleich sich dem Restaurant vor allem die „besseren“ Gesellschaftskreise verbunden fühlten, zog es durchaus auch sozial schwächere Bevölkerungsschichten an, die es auf sich nahmen, mitunter monatelang auf die teuren Eintrittsbilletts für Gartenkonzerte hinzusparen. Aus gesundheitlichen Gründen musste sich der populäre Gastwirt, der viele Jahre ehrenamtlich als Schiedsmann in Treptow tätig war, nach 15-jähriger Tätigkeit als Geschäftsführer an der Spitze des Unternehmens 1895 zurückziehen. Sechs Jahre später, im Februar 1901, starb Rudolf Zenner im Alter von nur 56 Jahren.

 
     
 

Seine (vorerst) letzte Ruhe fand er auf dem alten Treptower Friedhof an der Neuen Krugallee, bis dieser zur DDR-Zeit auf Weisung des Magistrats wegen Neubaus eines Altenheims eingeebnet und beräumt wurde. Seine Gebeine landeten auf der Sondermülldeponie in Schwanebeck, der Grabstein wurde achtlos vernichtet. Frau Agnes Zenners überlebte ihren Mann um 22 Jahre. Im Jahr der Berliner Gewerbeausstellung 1896 — im folgenden BGA 1896 — übernahm Fritz Regelin das vornehme Haus und taufte es sogleich in Restauration Fritz Regelin um. Der schlichte Name galt bis 1907. Als direkter Nachfolger seines populären Vorgängers bemühte er sich redlich, Niveau und Qualität des Unternehmens beizubehalten, was ganz im Sinne des Berliner Magistrats lag, der seinem Vorzeigeobjekt im Frühjahr 1903 einen Eiskeller im Wert von 58.500 Mark spendierte. Der Gastwirt hatte jedoch keinen leichten Stand, da sich mit seinem Vorgänger, dessen Führungsstil und Fähigkeit, breite Bevölkerungskreise als Gäste zu integrieren, hohe Maßstäbe verbunden hatten. Die Messlatte war für ihn damit außerordentlich hoch gelegt, er vermochte kaum neue Akzente zu setzen, führte das Unternehmen eher als penibler Verwalter fort, Zudem änderten sich allmählich wirtschaftlich und politisch die Zeiten, sodass sich das in der Folge, insbesondere nach der Jahrhundertwende, auch auf das Lokal auswirken sollte. Das Gasthaus wurde nun immer mehr zum Zufluchtsort für die soziale Mittelschicht der Kleinbürger, Lehrer und kleinen Beamten, bei denen „nationale Gefühle“ eine zunehmende Rolle spielten. Die bis dahin dominierende aristokratische Oberschicht zog sich nach und nach zurück. Durch den Versuch des „Andienens auch an größte Gesellschaften“ bemühte sich der Wirt gewisse Gästedefizite zu kompensieren. Im Übrigen gehörte auch Regelin zur Mehrzahl der konservativen und kaisertreuen Gastwirte seiner Zeit. Deshalb war es für ihn selbstverständlich, die Tradition der Auftritte von Militärkapellen im Lokalgarten fortzuführen. Dienstag und Sonntag gehörten dem Stabstrompeter und Obermusikmeister Hermann Baarz (l876—l94l)‚ genannt „der schöne Hermann“, der sich geschickt in Szene zu setzen verstand. Dieser Berufsmilitärmusiker und wohl beliebteste aller Kapellmeister dirigierte das Musikkorps des l. Garde-Dragoner-Regiments Königin Victoria und fuhr rauschende Erfolge ein. Mit „Vehemenz und Einsatzwillen“ ließ er den „Schwedischen Reitermarsch“, den „Marsch der finnländischen Reiterei im 30jährigen Krieg“ oder den Marsch „Lasset uns das Leben genießen“ intonieren. Mitunter blies er aber auch „Die Post im Walde“ und ähnliches auf der Trompete, um das Publikum romantisch einzustimmen. Als geschätzter Hofbläser hatte ihn der Kaiser aus Erfurt nach Berlin geholt. In seiner schmucken blauen Uniform rief er das Entzücken der Damenwelt hervor und musste zuweilen ganze Handwagen voller Blumen nach Hause fahren, konstatierte die Presse. Baarz soll auch als erster die Streichmusik im Lokal eingeführt haben. Andererseits wurde berichtet, dass der Meister Kommunisten (oder die er dafür hielt) mit dem Revolver in Schach hielt und in bestimmten „hoffnungsvollen“ Fällen mit seiner Musik „umzuorientieren“ versuchte. Den Donnerstag reservierte der Gastwirt einem weiteren Obermusikmeister namens Max Graf, der Baarz mit seinen Hoboisten (Musiker mit speziellen Flöten) vom 2. Garde-Regiment übertrumpfen wollte und sich zusammen mit Violinisten als „E1ite—Graf-Streichkonzert“ ankündigen ließ. Viele Zaungäste lauschten den musikalischen Darbietungen - und drückten sich vor dem Eintrittsgeld. Teile des Publikums fanden immer wieder Mittel und Wege, um den Obolus einzusparen.
Vor der Bezahlung des Bieres konnte man sich jedoch nicht drücken, es wurde
sofort abkassiert. Um welche Größenordnungen es dabei schließlich ging, deutete der französische Journalist und Reiseschriftsteller Jules Huret (1863-1915) im Jahr 1910 an, in dem er von den „zahllosen Bierlokalen Treptows schrieb, in denen eines derselben — gemeint war Zenner - innen und draußen im Garten 10.000 Gäste bewirten konnte, die nahezu 7.000 Liter Bier an einem Sonntag tranken“.